Infos und Tipps zum Umgang mit dem „Fast fertig“ -Status
Wenn ein Projektmitarbeiter gefragt wird, wie weit er mit einer bestimmten Aufgabe ist, lautet seine Antwort sehr oft: “Fast fertig!” Diese Antwort ist auch durchaus verständlich. Denn zu sagen, dass eine Aufgabe schon so gut wie erledigt ist, klingt einfach besser, als zu erklären, dass die Arbeit noch ganz am Anfang steht oder bestenfalls zur Hälfte getan ist.
Nur ist dieses “Fast Fertig” auch ziemlich tückisch. Tatsächlich wirkt diese Aussage nämlich viel positiver als sie ist. Die Betonung liegt schließlich nicht auf dem “Fertig”, sondern auf dem “Fast”. Aber wie geht der Projektleiter am besten mit diesem “Fast fertig” -Status um?
Dazu haben wir Infos und Tipps zusammengetragen!:
Inhalt
Der “Fast fertig” -Status in Projekten
Für die Aussage, dass eine Aufgabe schon fast fertig ist, gibt es sogar einen festen Begriff. Er lautet 90 Prozent-Syndrom.
In der Praxis führt dieses Syndrom dazu, dass der Fortschritt eines Projektabschnitts oder des gesamten Projekts sehr viel höher eingeschätzt wird, als er tatsächlich ist. Andersherum fällt auch der Aufwand, der bis zur Fertigstellung noch erforderlich ist, größer aus als die vermeintlich verbliebenen zehn Prozent.
Fragt der Projektleiter einige Zeit später wieder nach, wird der Fortschritt vermutlich nach wie vor bei den 90 Prozent liegen. Obwohl das Projektteam weitergearbeitet hat, hat sich am Status nichts geändert. Denn erstaunlicherweise werden die gefühlten 90 Prozent sehr schnell erreicht, während sich die übrigen zehn Prozent ewig ziehen.
Die Ursachen für den “Fast fertig” -Status
Der „Fast fertig“ -Status ist nur allzu menschlich und lässt sich auch recht einfach erklären. Nachdem die Einarbeitung erfolgt ist, eine Auseinandersetzung mit den Inhalten stattgefunden hat und die ersten Handlungen erledigt sind, stehen der Lösungsansatz und die weitere Vorgehensweise nämlich üblicherweise fest.
Dadurch stellen sich eine gewisse Sicherheit und gleichzeitig das Gefühl ein, dass die jeweilige Aufgabe nur noch abgearbeitet werden muss. Dass Schwierigkeiten oder unerwartete Änderungen auftreten könnten, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Folglich werden solche Szenarien auch weder bedacht noch eingeplant.
Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt. So neigt der Mensch bewusst oder unbewusst dazu, gut dastehen zu wollen. Sobald ein Projektmitarbeiter davon ausgeht, dass er seine Aufgaben schaffen wird, schätzt er den Fortschritt tendenziell zu hoch ein.
Denn dass er seine Aufgaben schon fast fertig hat, klingt halt besser, als wenn er noch mittendrin steckt. Und dem Projektleiter beichten zu müssen, dass er eben erst damit angefangen hat und so noch ganz am Anfang steht, ist doch eher unangenehm.
Die möglichen Folgen vom “Fast fertig” -Status
Führt das 90 Prozent-Syndrom zu einer zu optimistischen Einschätzung des Projektfortschritts, kann das problematische Folgen mit sich bringen:
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Die Glaubwürdigkeit sinkt, wenn die Fehleinschätzungen kommuniziert werden und die Mitglieder des Projektteams, die Geschäftsleitung oder die Auftraggeber sie für bare Münze nehmen.
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Die weiteren Abschnitte im Projektplan können nicht starten, weil die vorhergehenden Aufgaben eben noch nicht fertig sind. Das führt zu Warteschleifen und Verzögerungen.
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Die vermeintlichen zehn Restprozent zeichnen ein trügerisches Bild. Weil ja nicht mehr viel zu tun ist und die vorhergehenden Abschnitte so gut wie abgehakt sind, werden die nächsten Etappen oder gleich neue Projekte begonnen. Das Ergebnis ist eine Vielzahl von Aufgaben, die alle angefangen wurden, aber nie richtig beendet werden.
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Den Projektmitarbeitern werden immer mehr Aufgaben übertragen, da die anderen Arbeiten ja schon zu 90 Prozent fertig sind. Das kann zu einer Überlastung führen, die die Motivation ausbremst und Unzufriedenheit hervorruft.
4 Tipps zum Umgang mit dem „Fast fertig“ -Status
Den “Fast fertig” -Status für alle Zeiten aus Projekten zu verjagen, wird dem Projektleiter höchstwahrscheinlich nicht gelingen. Das macht aber nichts. Entscheidend ist, dass der Projektleiter die Situation realistisch einschätzt und sich über die möglichen Folgen im Klaren ist.
Beim konkreten Umgang mit dem 90 Prozent-Syndrom wiederum können folgende Tipps helfen:
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Die Angaben hinterfragen.
Wenn ein Projektmitarbeiter die Frage, wie weit er ist, mit einer Aussage im Sinne von “Fast fertig” beantwortet, sollte der Projektleiter hellhörig werden. Denn es kann gut sein, dass der Projektmitarbeiter auf die Schnelle irgendeine (wohlklingende) Antwort gegeben hat, dabei aber entweder gar nicht richtig über den tatsächlichen Fortschritt nachgedacht hat oder den Fortschritt wirklich falsch einschätzt.
Der Projektleiter sollte sich deshalb nicht in blindem Vertrauen auf die Angabe verlassen, sondern genauer nachfragen. Wie viel ist noch zu tun? Wie lange braucht der Mitarbeiter noch? Wann ist mit der Fertigstellung zu rechnen?
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Den Ist-Zustand analysieren.
Sind dem Projektleiter die Aussagen seines Mitarbeiters zu vage, kann und sollte er sich die Inhalte des Arbeitspakets oder des Projektabschnitts näher anschauen. Dazu kann er eine Liste mit allen Einzelaufgaben erstellen und überprüfen, was davon schon erledigt und was noch offen ist.
In vielen Fällen führt allein so eine Liste schon zu einem Aha-Erlebnis. Nämlich dann, wenn die offenen Posten deutlich umfangreicher sind als vermutet.
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Kriterien definieren, mit denen der Fortschritt gemessen werden kann.
Liefert eine Analyse zu ungenaue Ergebnisse, macht es Sinn, den Fortschritt anhand fester Kriterien zu messen. Das verursacht zwar Aufwand, weil der Projektleiter zuerst geeignete Messkriterien definieren und danach die erreichten Fortschritte entsprechend einordnen muss. Aber er kann wesentlich genauer beurteilen, inwieweit die Aufgaben tatsächlich abgeschlossen sind.
Lassen sich die Arbeitspakete in eindeutige Zeit- oder Mengeneinheiten aufteilen, ist die Messung einfach. Sind für einen Produkttest zum Beispiel zehn Stunden angesetzt und sind sechs Stunden davon durchgeführt, ist die Aufgabe zu 60 Prozent erledigt.
Sieht der Projektabschnitt vor, in vier Abteilungen neue Software zu installieren und ist das bisher in einer Abteilung geschehen, ist dieser Abschnitt zu 25 Prozent abgeschlossen.
Sind die Pakete so nicht zu messen, muss der Projektleiter eigene Kriterien definieren. Geht es zum Beispiel darum, ein Konzept für eine Marketing-Aktion zu entwickeln, kann der Fortschritt mit
- 25 Prozent, wenn die Ist-Analyse durchgeführt ist,
- 50 Prozent nach Abschluss der Wettbewerbsanalyse,
- 75 Prozent, wenn die strategischen Maßnahmen stehen, und
- 100 Prozent, sobald das Konzept fertig ist und präsentiert wurde,
bemessen werden. Voraussetzung ist aber, dass auch die Ziele präzise definiert sind. Denn ohne verbindliche und klare Ziele fehlt die Basis, um den erreichten Forschritt zu bestimmen.
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Limits festlegen.
Längst nicht jeder Projektmitarbeiter gibt offen zu, dass er mit seinen Aufgaben ausgelastet ist und keine zusätzlichen Arbeiten übernehmen kann. Stattdessen nimmt er die Situation hin und kümmert sich oft um die neuen, vermeintlich wichtigeren Aufgaben. Die alten Arbeiten hingegen bleiben liegen.
Um solche Situationen zu vermeiden, kann der Projektleiter Limits einführen. Sie bestimmen die maximale Anzahl an Aufgaben, Arbeitspaketen oder Projekten, an denen ein Projektmitarbeiter gleichzeitig arbeitet. Auf diese Weise ist automatisch sichergestellt, dass neue Aufgaben erst dann gestartet werden, wenn die älteren Aufgaben abgeschlossen sind.
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